Hera Lind zählt zu den erfolgreichsten Autorinnen Deutschlands. Trotz Krisen und öffentlichen Anfeindungen führt sie mit ihrem zweiten Mann eine glückliche Ehe und genießt die große Patchwork-Familie. Im Interview spricht die Bestsellerautorin über ihr neuestes Buch – einen Roman nach wahrer Geschichte, das Gefühl der Freiheit und die unerschütterliche Liebe.
Die Hauptperson Ihres neuen Buches, Peasy, versucht aus der DDR zu flüchten und landet im Gefängnis. Was hat Sie an der Geschichte besonders berührt?
Diese unfassbare Dimension des Verlustes der Freiheit. Da will eine 22-jährige junge Frau mit ihrem Ehemann aus der DDR flüchten, weil sie sich in dem Staat eingeschlossen und ihrer Träume beraubt fühlt, und gerät in eine noch viel schlimmere Gefangenschaft. Wie sie das über drei Jahre durchhält, ohne ihren Mann zu sehen, ist ein Wunder.
Sind Sie zu Recherchezwecken ins Erzgebirge gefahren?
Ja und es war einfach nur grauenvoll. Obwohl das Zuchthaus ja inzwischen ein Museum ist und ein sehr freundlicher Mann mich ehrenamtlich etwa drei Stunden hindurchgeführt hat, konnte ich mir jedes Detail von damals noch mal genauer vorstellen: Die winzigen, vergitterten, dunklen Zellen, die Kälte, die Abgeschiedenheit. Ich sah Peasy vor mir, wie sie bei klirrender Kälte in dünnen Schuhen und in einer abgetragenen Uniform, ohne ein einziges liebes Wort zu hören, durch die Gänge schlich. Ein grauenvolles Schicksal. Auf dem ganzen Rückweg von Hoheneck nach Hause konnte ich kein Wort sprechen.
Unfassbar, dass Peasy trotzdem nicht den Glauben an Liebe und Vertrauen verliert.
Die Protagonistin vermittelt trotz des Grauens und der Hoffnungslosigkeit in Hoheneck eine Gewissheit, ihren Mann irgendwann wiederzusehen. Dieses Urvertrauen in die Liebe ihres Mannes hat mich sofort überzeugt. Denn die Liebe ist die größte Kraft und Energie, die uns Menschen verbindet. Diese Botschaft kann man durch keine andere Geschichte besser ausdrücken.
Wie haben Sie damals den Mauerfall erlebt?
Das ist ja das Beschämende: ich war gerade mit dem 2. Kind schwanger und wollte einfach weiterschlafen! Mein damaliger Lebensgefährte weckte mich, und ich sagte: „Hat das nicht Zeit bis morgen?“ Ich war einfach viel zu wenig informiert! Dann saß ich natürlich doch weinend vor dem Fernseher und kurz darauf luden wir eine fremde Familie aus der DDR zu uns nach Hause ein. Da erfuhren wir dann viel mehr!
Was bedeutet für Sie Freiheit?
Freiheit bedeutet mir alles! Schon in den Zeiten von Corona merke ich, wie fürchterlich es ist, zuhause eingeschlossen zu sein. Aber das eigene Zuhause mit einer sonnigen Dachterrasse ist noch immer ein Paradies gegen die grauenvollen Zellen in diesem Frauenzuchthaus, die Zwangsarbeit, der Schlaf und Essensentzug und die unfassbaren seelischen Grausamkeiten, die meine Protagonistin erleiden und erdulden musste.
Gerade jetzt bemerken wir, wie selbstverständlich wir vieles genommen haben.
Ja, ich denke, dieser plötzliche Stillstand des sonst so unnötig hektischen Lebens ist gut und richtig. Es wurde höchste Zeit, dass wir wieder auf uns, unsere Liebsten und unsere eigenen Gedanken zurückgeworfen wurden. Jetzt wissen wir erst, was soziale Kontakte für uns bedeuten und wie wichtig gegenseitige Wertschätzung ist.
Was macht Ihnen Mut?
In allen Krisenzeiten hat mir immer die unerschütterliche Liebe meines Mannes und die meiner Kinder Mut gemacht. Dann noch eine Handvoll treuer echter Freunde, die mir immer geblieben sind: da kann man gar nicht verzweifeln. Für die eigene innere Stärke hilft mir der tägliche Sport. Jeden Tag mindestens eine Stunde laufen oder Pilates. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, selbst wenn man mal schlecht geschlafen oder gegrübelt hat.
Was ist es für ein Gefühl, dass Ihnen Frauen ihr Schicksal anvertrauen?
Es ist ein unfassbares Geschenk meiner Leserinnen und Leser, mir ihre Lebensgeschichte anzuvertrauen. Ich lese sie alle mit großem Respekt und beantworte sie alle selbst, auch wenn es Absagen sind, verfasse ich sie mit großer Wertschätzung. Es sind allesamt Perlen im Schatzkästlein der Lebensschicksale.
Gehen Ihnen die Schicksale der Frauen immer sehr nahe?
Sie gehen mir tatsächlich oft so nahe, dass ich sie augenblicklich meiner Familie oder Freunden erzählen muss. Dann ist es oft am Tisch über eine Stunde lang ganz still. Selbst ist man umso dankbarer, dass es einem verhältnismäßig so gut geht! Diese Geschichten machen auch was mit einem!
Was für Projekte sind als nächstes geplant?
Eines weiß ich sicher: Ich werde wahre Lebensgeschichten schreiben, so lange meine Finger die Tastatur finden. Es gibt täglich vier bis fünf Einsendungen, ich lese und beantworte sie alle, und die nächsten drei Volltreffer sind schon wiedergefunden!
Über Hera Lind
Hera Lind kam 1957 als Tochter eines Arztes und einer Musikpädagogin mit dem bürgerlichen Namen Herlind Wartenberg in Bielefeld zur Welt. Nach der Matura studierte sie in Köln Germanistik und Theologie, wo sie 1981 ihr Staatsexamen absolvierte. Als Preisträgerin des „Bundeswettbewerbs Gesang 1979“ in Berlin begann sie parallel zum Hochschulstudium mit einer Gesangsausbildung an der Musikhochschule Köln und Düsseldorf. In den folgenden Jahren absolvierte sie Meisterkurse in Salzburg, Wien und Stuttgart.
1989 bestand sie ihr Konzertexamen für das Opern- und Oratorienfach mit Auszeichnung. 1982 wurde sie festes Mitglied des Kölner Rundfunkchores. Gleichzeitig machte sie sich europaweit als Solistin einen Namen. Konzertreisen führten sie nach Israel, Japan, Südamerika.
1988, während ihrer ersten Schwangerschaft, schrieb Hera Lind zum Zeitvertreib ihren ersten Roman Ein Mann für jede Tonart. Dieser wurde auf Anhieb ein Bestseller und verkaufte sich zwei Millionen Mal. Der gleichnamige Film mit Katja Riemann, Uwe Ochsenknecht und Gudrun Landgrebe lief monatelang in den Kinos. Während der zweiten Schwangerschaft 1990 schrieb Hera Lind die Fortsetzung Frau zu sein bedarf es wenig. Auch dieser Bestseller wurde verfilmt – diesmal für das ZDF.
1994 folgte ihr dritter Bestseller Das Superweib, mit dem ihr der endgültige Durchbruch als Schriftstellerin gelang. Der Roman verkaufte sich insgesamt fast drei Millionen Mal. Der Film kam 1996 in die Kinos und zählte zu den erfolgreichsten Komödien des Jahres. Es folgten weitere Bestseller mit Millionenauflagen. Für das ZDF moderierte sie zwei Jahre lang die Sendung Hera Lind und Leute, für die ARD übernahm sie 1997 die Moderation der erfolgreichen Sendung Herzblatt. Ihre witzigen und vollkommen auswendig vorgetragenen Lesungen führten sie immer wieder durch ganz Deutschland, nach Österreich und in die Schweiz.