Warum das Lesen erotischer Romane das eigene Sexleben beflügelt, verrät Psychologe und Buchautor Dr. Wolfgang Krüger.
Was sind die Voraussetzungen für einen himmlischen Sex? Mit dieser Frage habe ich mich intensiv in den letzten Jahren beschäftigt. Allerdings haben mich beim Lesen zunehmend die meisten Ratgeberbücher genervt, in denen vor allem Techniken vermittelt werden. Sie werden der Komplexität der Sexualität nicht gerecht, denn Sex ist immer Beziehung, sie ist eine Begegnung zweier Welten. Letztlich ist sie ein sinnliches Gespräch der Körper und der Seelen.
Diese erotische Sprache gelingt, wenn zwei Menschen den Mut haben, sich mit ihren Leidenschaften, Wünschen und Hoffnungen zu begegnen. Doch vor allem unsere Gefühle und Phantasien sind sogar für uns selbst oft ein Geheimnis. Denn immer geht es in den erotischen Gefühlen und Phantasien auch um heftige Leidenschaften, um Aggression, Über- und Unterordnung. Es geht um brisante Gefühle, die man gern versteckt. Und deshalb wissen wir oft so wenig von der Kraft der Erotik. Doch in den klassischen erotischen Romanen werden sowohl unsere Gefühle, Affekte und Phantasien geschildert. Insofern können sie uns eine tiefgründige Orientierung für unsere Sexualität geben. Daher lebt unsere Erotik auf, wenn wir diese Romane lesen. Über 60 Prozent der Befragten schilderten mir, ihre Sexualität habe sich nach dem Lesen dieser Romane entscheidend verbessert. Für mich waren sie deshalb die Grundlage für einen spannenden Ratgeber, der vielfältige Anregungen und Hinweise für die eigene Erotik enthält.
Die Grundlagen der Erotik: So lernen wir aus dem Roman „Salz auf unserer Haut“, dass wir uns vor allem geliebt fühlen müssen, damit der Sex gelingt. Das klingt so selbstverständlich und ist doch so schwer zu realisieren. Und wir sollten uns selbst lieben und unsere innere Anstandsdame beiseiteschieben, damit wir unbekümmert und schamlos die Erotik genießen können. Dies bedeutet aber auch, dass wir im Alltag unsere Bedürfnisse durchsetzen, unsere Wünsche realisieren. Je glücklicher wir in einer Beziehung sind, desto besser ist der Sex. Dann steigt unser Begehren und unsere erotischen Phantasien fangen regelrecht an zu blühen.
Die Entwicklung des Vertrauens: Unsere Lebensqualität ist wichtiger als jede Sex-Technik. Doch warum ist dies so schwierig? „Lady Chatterly“ zeigt uns, dass vor allem am Beginn einer Partnerschaft jede erotische Annäherung mit Ängsten verbunden ist. Die Angst verletzt zu werden, weil wir einen noch weitgehend unbekannten Menschen in unser Leben lassen, führt uns immer wieder zu einem teilweisen Rückzug. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns mit dem Sex Zeit lassen, auf unser Bauchgefühl hören und vor allem darauf achten, dass Vertrauen entsteht.
Unsere Beziehung zum eigenen Körper: Aber wichtig ist nicht nur die Beziehung zum anderen, sondern auch die Partnerschaft mit unserem Körper. Wir sollten unseren eigenen Körper - trotz aller Unvollkommenheiten - lieben und erkunden. Tatsache ist, dass 86% aller Frauen zum Orgasmus kommen, wenn sie sich selbst berühren, aber nur 65%, wenn sie mit einem Mann schlafen. Insofern zeigt „Fanny Hill“, wie wichtig für Frauen die Selbstberührung für die Entfaltung der Lust ist.
Unsere innere Entwicklung: Der größte erotische Resonanzboden ist jedoch unsere innere Entwicklung. Wenn wir wissen, wer wir sind, wenn wir selbstbewusster werden, Ängste überwinden und unseren Lebensweg finden, kommt unsere Erotik ins schwingen. Das jedenfalls zeigt überzeugend der Roman „Angst vorm Fliegen“, in dem eine junge Frau zunächst vergeblich versucht, sich zu finden, indem sie mit unterschiedlichen Männern schläft. Bis sie erkennt, dass sie sich selbst finden muss, um in der Erotik glücklich zu sein. Denn glücklich sind wir nur, wenn wir zugleich eine Beziehung zu uns und auch zum anderen gefunden haben.
Gespräche – Sex ist Beziehung: Erotik ist ein körperliches Gespräch, ein seelisch-körperlicher Austausch, der eine tiefe Bindung zwischen zwei Menschen voraussetzt. Hierzu gehören vor allem Gespräche und die Fähigkeit, sich auch mit den eigenen seelischen Verletzungen und Schwächen zu zeigen. Dies verdeutlicht auch der Erfolgsroman „Shades of Grey“, wo ein sehr reicher Geschäftsmann zunächst im Sex eine junge Frau sehr dominiert, bis sie sich mit ihren Beziehungswünschen durchsetzt. So zeigen alle Romane: Sex ist Beziehung und ist vor allem dann erfüllt, wenn es wirklich zu einer Begegnung zwischen zwei Menschen kommt.
Der aufregende Blümchen-Sex: Deshalb ist der oft belächelte Blümchensex so aufregend, so spannend, obgleich scheinbar wenig passiert. Doch gerade wenn Sex keine Technik ist, wenn es keine Ablenkungen gibt, kann Sex zu einem aufregenden Gespräch werden und es kann sich eine himmlische Erotik entwickeln, bei der beide vor Lust schweben. Allerdings müssen wir dazu vier Fragen beantworten: Wer bin ich, was will ich, wer ist der andere und was sind seine Wünsche? In der Beantwortung dieser Fragen liegt das Geheimnis für den erfüllten Sex.
Buchtipp: „Die erfüllte Sexualität - Erkenntnisse aus zwölf erotischen Romanen“. BOD 2019
Foto: Shutterstock/Photgraphee.eu